Musikalische Früherziehung: Genuss oder Tortur?

Unsinnige Texte, albernde Tänze und wildes Herumgeklopfe auf Hölzern – das waren meine Assoziationen mit musikalischer Früherziehung. Warum der Prinz von Moabit dennoch dort landete und was daraus wurde, verrät dieser Blogpost.
 
Ist musikalische Früherziehung pädagogisch wertvoll oder rausgeschmissenes Geld? Haben Kleinkinder Freude am spielerischen Umgang mit Musik oder ist es nur ein Wunschtraum der Eltern? Und wann sollte man, wenn überhaupt, beginnen?

Gitarre, Trommel, FirestarterBevor wir uns mit diesen Fragen auseinandersetzen konnten, verkündete die Tagesmutter des damals einjährigen Prinzen: „Wir gehen jeden Mittwoch zur Musikschule. Ich hoffe, ihr habt nichts dagegen?“ Hatten wir nicht – wir selbst mussten uns dort ja nicht zum Affen machen.

Unserem Sohn schien es laut Berichten zu gefallen, er machte mit und blieb sogar im Kreis sitzen. (Letzteres kann ich bis heute kaum glauben.) Mit dem Wechsel zur Kita endeten die Ausflüge zur Musikschule und wir beließen es dabei...


Die Macht der Schaufenster    

...bis wir eines Tages an einem Schaufenster vorbeikamen, in dem der Prinz ein Akkordeon entdeckte. Verzaubert von dessen Anblick nutzte er fortan jede Gelegenheit, um an diesem Haus vorbeizugehen.
Sein Verlangen wurde mit der Zeit größer: „Ich wollte auch mal da rein gehen und das Akkordeon spielen“, meinte er, während er das Instrument andächtig durch die Scheibe bewunderte. Okay, sagte ich, irgendwann einmal würden wir diese Musikschule besuchen. „Wann denn? Jetzt? Ich will jetzt!“
Nach ein paar Wochen erweichte der sehnsüchtige Blick ins Schaufenster mein Herz und ich vereinbarte eine Probestunde. Aufgrund des Alters kam nur ein Kurs infrage: musikalische Früherziehung.


Ich will zum Akkordeon!

Bereits auf der Schwelle zum Kursraum bemerkte der Prinz, dass etwas nicht stimmte. „Oh nein, das hier ist falsch! Das Akkordeon ist woanders. Komm, wir gehen dahin!“ Während ich im Labyrinth der Musikschule längst die Orientierung verloren hatte, wusste der Knirps ganz genau, wo sich das Schaufensterzimmer befand. Es war verschlossen.
„Oh nein, die Tür ist zu. Hast Du einen Schlüssel?“ Ich verneinte und erklärte, dass wir da nicht einfach hineingehen könnten, wir müssten zunächst fragen. Hoch motiviert schaute sich der Prinz um, spürte die Leiterin auf und fragte. Sie schloss tatsächlich die Tür auf und er stürmte zum Akkordeon. Zu meinem Erstaunen sah er ziemlich schnell ein, dass es zu schwer für ihn war. Aber da war noch etwas anderes... ein großer, schwarzer Flügel.
Begeistert kletterte er auf den Hocker und haute in die Tasten, die Haare wippten im Takt. Fast hätte ich den eigentlichen Grund unseres Besuchs vergessen.


Sitzen, klatschen und singen? Wie langweilig!

Etwas widerwillig setzte sich der Prinz während des ersten Teils auf meinen Schoß. Es war deutlich zu merken, dass Singen und Klatschen nichts war, das ihn aus den Socken haute. Er schaute sich lieber die Socken der anderen Kinder an und kommentierte die Motive. Ich dachte schon, wir müssten vorzeitig gehen, als die Lehrerin (endlich!) aufstand und ein Triangel holte. „Ich will auch!“, rief der Prinz und rannte zum Instrument. „Jeder kommt dran, es geht der Reihe nach. Bitte setze Dich wieder hin.“ Der Reihe nach? Kein Problem, dachte mein Kind, und nahm direkt neben der Lehrerin Platz, um Erster zu sein.

Spielplatz, Sommer, Urlaub
Rumsitzen? Kann man im Urlaub machen,
aber doch nicht im Musikunterricht!
Fazit der ersten Stunde: unsinnige Texte, albernde Tänze und wildes Herumgeklopfe; immerhin nicht auf Hölzern.
Da die Instrumente so gut beim Prinzen ankamen, beschlossen wir, der Musikschule eine Chance zu geben.


Die Sache mit der Logik

Nach knapp einem halben Jahr lässt sich festhalten, dass Singen noch immer keine Begeisterung hervorruft. Oft blockiert auch der Verstand den Spaß. Ein Beispiel:

Lehrerin: „Wir klettern jetzt alle auf einen großen Berg. Kommt mal alle her.“
Die Kinder stellen sich in einen Kreis und schauen erwartungsvoll – nur der Prinz nicht. Er bleibt am Rand und blickt verständnislos auf die Runde. „Häh, da ist doch gar kein Berg. Wo ist denn der Berg? Ich sehe keinen.“
Ich flüstere ihm zu, dass es nur ein Spiel ist. Da ist kein echter Berg. Skeptisch tritt er näher.
Die anderen singen und klettern den Berg symbolisch mit den Fingern hoch, dann wieder runter. Der Prinz will es genau wissen: „Haben wir einen Schlitten? Sind wir mit dem Schlitten den Berg runtergefahren?“

Ebenfalls können Texte über Lebensmittel verwirrend sein. In einem Lied wird durch den Zoo spaziert und auf verschiedene Tiere getroffen. Die Elefanten essen Äpfel, die Affen Bananen. Statt diese Szenen nachzuspielen, bekommt der Prinz Hunger. „Oh, Bananen – ich will auch eine Banane! Ach, Äpfel – ich wollte auch einen Apfel essen!“


Vorfreude ist die schönste Freude

Anders verhält es sich mit den Instrumenten, diese erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit. Die schönste Zeit sind die Minuten vor Unterrichtsbeginn: Ein Abstecher zum Flügel, einmal auf die große Trommel schlagen und „I am a firestarter“ von The Prodigy singen, ein bisschen auf der Gitarre klimpern und zwischendurch von den Sitzbänken springen. Schade, dass es sein Lieblingsinstrument, das Fagott, nicht gibt.

Eigentlich bräuchte der Prinz ein Orchester ganz für sich allein, das sich auf einem Hindernisparcours befindet. Kennt jemand ein solches Angebot?

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