Walross statt Quietscheente? Wenn Realität auf Werbung trifft


Im FEZ Berlin gibt es in der ersten Etage einen Imbisswagen mit dem üblichen Angebot: Pommes, Currywurst, Boulette und Schrippe. Das Besondere: Die Speisen wurden selbst fotografiert (oder der Fotograf war ziemlich talentfrei). Statt eines digital bearbeiteten, appetitanregenden Menüs ist ein Plastikteller zu sehen, auf den lieblos ein paar Tiefkühlpommes und Wurststücke geschmissen wurden, das Ganze „garniert“ mit einer Pfütze Ketchup. Nicht unbedingt eine Augenweide, aber immerhin realistisch.


Wie sähe es aus, wenn Werbung für Kinderartikel realistisch wäre?

Darüber dachten wir heute Morgen nach, als der Prinz keine Lust hatte, das Bett zu verlassen. Uns kamen Windel-Werbespots in den Sinn, in denen die Babys freudestrahlend aufwachen und ihre Eltern anlächeln. Vergnügt strecken sie die Arme aus und zur Krönung gibt es einen Kuss.
Unsere Realität sah hingegen so aus: Übellaunig versteckte sich der Prinz unter der Decke und kanzelte uns mit „Lasst mich in Ruhe, ich will einfach nur rumliegen!“ ab. Wir versuchten es mit dem zwei-Optionen-Trick: „Möchtest Du noch ein bisschen kuscheln oder Dich gleich anziehen?“ Die Antwort: „Treten.“ Hmja... Als Morgenmuffel habe ich Verständnis.


„Laus!“

Nun könnte eingewendet werden, dass es sich in den Werbespots um Babys und nicht um Kleinkinder handelt. Stimmt. Doch selbst als Baby hielt der Prinz nichts vom Marketingkonzept der Windelhersteller. Wurde er in der Wiege wach, griff er nach dem Mobile und schüttelte es gründlich durch. Zeitgleich führte er Beckenbodenübungen durch, bei denen er seinen Po anhob und anschließend voller Wucht fallen ließ, so dass die Bettkonstruktion zu krachen drohte. Ein Lächeln gab es erst, nachdem der Herr die Wiege verlassen hatte und sich in aufrechter Position befand.  
Als der Prinz etwas später im Gitterbett schlief, warf er als erste Amtshandlung nach dem Aufwachen seinen Nuckel heraus – ein Signal war gesetzt. Um diesem Nachdruck zu verleihen, zog er sich hoch und nutzte das Bett als Trampolin. Beim Springen brüllte er „Rrrrrrraus, ich will rrrrrraus“, was zu Beginn wie „laus“ klang. Für ein „Hallo, liebe Mami, schön Dich zu sehen“, blieb keine Zeit.


„Ich will nackt sein!“

Nach dem Schlafen ging es für gewöhnlich auf den Wickeltisch, was in der Werbung mit Spiel- und Kuschelzeit gleichgesetzt wird. Mama und Kind spielen „Nasi-Nasi“ und cremen sich ein. Optional liegt der Sprössling auf dem Bauch und lässt sich den Rücken massieren.

Hierauf hatte der Prinz als Baby überhaupt keinen Bock – zuerst hegte er einen Groll gegen das Ausziehen, danach wollte er am liebsten für immer nackt bleiben.
Gegen Spiele hatte er jedoch nichts einzuwenden. Ganz oben auf der Liste: „Kann ich die Wassersschale schneller umkippen als Du sie fangen kannst?“, „Ich schmeiße die Wattepads herunter und Du hebst sie wieder auf“ und „Wie weit kann ich über den Wickeltisch pinkeln?“

Das Motto „Ich will nackt sein!“ gilt noch heute im Kleinkindalter. Nicht selten kommt der Prinz vom Anziehen ab, da er einen imaginären Anruf von Feuerwehrmann Sam oder der Paw Patrol Zentrale erhält. „Mami, ich habe einen Einsatz!“, verkündet er und macht sich pflichtbewusst an die Arbeit. „Okay. Aber ziehe Dich bitte vorher an.“ „Nee, ich habe einen Nackteinsatz!“


"Rrrrr, gleich schnappe ich Dich!"
Es muss nicht immer eine
Quietscheente sein...
„Guck mal, ich bin ein Walross“

Offiziell nackt sein dürfen Kinder in der Badewanne. Die Werbung suggeriert ein Bild von Entspannung und Entschleunigung. Gechillt sitzen die Kleinen mit einem Schaumkleks auf dem Kopf im Wasser und werden von den Eltern mit einer Quietscheente bespaßt.

Der Prinz von Moabit dreht den Spieß lieber um und wird selbst aktiv. Die Wassertiere erleben Nervenkitzel mit dem Grüffelo oder machen Stunts vom Wannenrand. Julius der Hai geht auf die Suche nach Sockenfusseln. Am liebsten jedoch wird der Bademeister selbst zum Tier. Besonders gern hüpft er wie ein Frosch durch das Wasser oder wirft sich mit dem Kampfschrei „Guck mal, ich bin ein Walross“ auf den Bauch. Ebenfalls beliebt ist das Nachstellen einer Szene aus dem Zoo, in der ein Pinguin ausrutscht und ins Wasser fällt.

Klugerweise wird im Fernsehen ausgeblendet, bevor es zum Haarewaschen kommt. Kinder, denen Wasser in Augen und Ohren nichts ausmacht, wären selbst für die Werbung zu weit hergeholt. Aber muss Werbung überhaupt realistisch sein?
  

Werbung und Realität

Über diesen Punkt herrscht große Uneinigkeit. Während die einen für weniger Photoshop und Manipulation plädieren, betrachten die anderen – so wie ich – Werbung und Marketing als Kunst. Teilweise amüsiert, teilweise schockiert verfolge ich die Entwicklung ausgeklügelter Konzepte.
Mein persönliches Highlight, leider nicht in der Kinderabteilung: Inkontinenzeinlagen für Männer. Statt der üblichen Tropfen, die die Saugkapazität angeben, gibt es für die „Herren-Windeln“ Striche. Diese werden – jetzt kommt’s! – Level genannt. Auf diese Weise gelingt es, selbst Blasenschwäche mit Gaming in Verbindung zu bringen. (Es fragt sich nur, ob hier das „Level up!“ genauso gern verkündet wird.)

Solange so etwas dabei herauskommt, sei den Werbeleuten ein bisschen Spinnerei verziehen. Dass aber auch realistische Kinder-Spots unterhaltsam und werbewirksam zugleich sein können, zeigt das folgende Werk:


 
Auch wenn Hilfe, wir brauchen einen Exorzisten! Ähnlichkeiten aufweist: Für uns ist der Prinz perfekt und die Realität viel schöner als jegliche Werbung – vor allem unterhaltsamer 💗

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