Moloch der Industrialisierung vs. Mittelmeerromantik – der erste Urlaub ohne Kind
Wir haben es vollbracht: Der erste Urlaub ohne Kind!
Während der Prinz mit seinen Großeltern über das sonnige Mittelmeer schipperte, erkundeten wir, mit Wollschals bewaffnet, Schottland. Was wir erlebt haben und wie es uns bei der ersten Reise ohne Kind erging, erfahrt ihr in folgendem Blogpost.
Träume werden wahr
Bereits als der Prinz ein paar Wochen alt war, träumten die Großeltern von gemeinsamen Reisen mit ihrem Enkel. Während wir maximal einen Kurztrip in den Schwarzwald für möglich hielten – in ferner Zukunft! – wollten die Omas und Opas am liebsten sofort in den Indischen Ozean oder die Karibik aufbrechen.
Nach dreieinhalb Jahren und zahlreichen Übernachtungspartys war die „ferne Zukunft“ schließlich gekommen.
Einen Kompromiss zwischen einer einstündigen Autofahrt und einem Langstreckenflug fanden wir im Mittelmeer. Um sich nicht für einen Ort entscheiden zu müssen, wählten die Großeltern eine Kreuzfahrt.
Der Prinz geht auf Kreuzfahrt – Vorbereitung
Jetzt, wo ganze 11 Tage und Nächte ohne unser Kind mit viel Freizeit vor uns lagen, loderten die Flammen der Vorfreude nur schwach. Wesentlich stärker brannte das Feuer der Sehnsucht. Für den Fall, dass auch der Prinz Sehnsucht bekommen sollte, wollten wir ihm ein Kuscheltier schenken – zur Auswahl stand das Angebot des Zooladens.
Es war Liebe auf den ersten Blick, als der Prinz seine „Biggi“ im obersten Regal entdeckte. Kein flauschiger Teddy, kein Hase mit Knopfaugen, sondern ein stattliches Nashorn. Eine passende Wahl für jemanden, der sich einst von der Nuckelfee „viele Büffel“ wünschte.
Die Abreise
Mit „Biggi“ im Arm stieg der Prinz am Tag der Abreise ins Auto und warf uns fröhlich Luftküsse zu. Als er davonrollte, wurde uns schlagartig übel und wir fühlten uns wie die schlechtesten Eltern der Welt, die ihr geliebtes Kind allein in die Ferne schickten. Noch auf dem Bürgersteig versanken wir in Selbstmitleid und fingen an, zu halluzinieren – wir hörten sogar das Weinen unseres kleinen Jungen.
Ein paar Sekunden später realisierten wir, dass mit unserer Wahrnehmung alles in Ordnung war; es war tatsächlich die Stimme des Prinzen. Er kam noch einmal mit folgender Botschaft zu uns zurück: „Ich habe euch auch lieb und werde euch vermissen!“
Knack, nun waren unsere Herzen endgültig gebrochen. Seins schien allerdings wieder repariert zu sein, denn er rauschte lächelnd mit „Viel Spaaaaß, tschüß! Wir telefonieren dann!“ davon.
Und wir?
Waren weiterhin bedrückt und lauerten auf einen ersten Lagebericht. Würden seine gute Laune und die Reiselust anhalten?
Offensichtlich ja, wie die folgenden Video-Chats deutlich machten. Der Prinz zeigte weder am ersten noch an weiteren Tagen eine Spur von Sehnsucht. Er plantschte vergnügt im Meer, erkundete das Schiff und gab uns exklusive Führungen via Handykamera.
Endlich beruhigt, fanden wir nun die Muße, uns mit dem eigenen ersten Urlaub ohne Kind zu befassen.
Wie aus Spanien Schottland wurde
Eine Reise nach Barcelona? Der Kindheitstraum New York? Oder doch in den Norden, etwa nach Island oder Oslo? Die Fülle an Optionen führte dazu, dass wir täglich schwankten und letztendlich überhaupt keine Entscheidung fällten. Es musste ein neues Ziel her; zum Beispiel ein Land, über das wir nichts weiter wussten als ein paar Klischees.
Wir ließen unsere Finger über den Globus streifen und landeten in Schottland – perfekt!
Für einen Kurztrip wurden uns zwei Orte ans Herz gelegt. Zum einen Edinburgh: eine wunderschöne Stadt am Meer, bestens auf Tourismus vorbereitet, in der jedes zweite Gebäude eine Sehenswürdigkeit ist. Zum anderen die Konkurrenzstadt Glasgow: ehemaliger Moloch der Industrialisierung und Arbeiterhochburg, ein bisschen rough und etwas ranzig, aber durchaus interessant. Es ist klar, welche Wahl wir als Berlinerinnen trafen, oder?
Wir buchten einen Flug nach Glasgow.
Die Anreise: auch ohne Kind ein Katastrophenmarathon
Ohne Kind zu reisen wird total entspannt und einfach sein, davon waren wir überzeugt. Wenn die äußeren Umstände mitgespielt hätten, wäre dies auch der Fall gewesen – nur hatten diese andere Pläne.
Der Spaß begann sogleich mit der Fahrt zum Flughafen, denn die Bahn fuhr nicht so, wie sie sollte: Sie machte einfach vor dem Ziel Halt. Während unsere Verbindung beim Einstieg noch planmäßig angezeigt wurde, waren nun spontane Bauarbeiten aufgetreten. Wir mussten also auf die S-Bahn ausweichen, die nur alle zwanzig Minuten fuhr.
Um die Spannung zu erhöhen, meldeten sich unsere Blasen zu Wort und schickten uns auf die Suche nach einer Toilette – was bedeutete, dass wir noch einmal weitere zwanzig Minuten warten mussten.
Es war ein kleines Wunder, dass wir mit der übernächsten S-Bahn tatsächlich am Ziel ankamen – keine Minute zu früh.
Im Flugzeug konnten wir unsere kinderfreien Vorhaben – Musik hören und schlafen – ohne Komplikationen umsetzen. Beim Transfer zum Hotel erwartete uns jedoch die nächste Überraschung.
Google Maps schlug uns drei Stationen mit dem Bus vor, der Ticketverkäufer zwei. Wie wir feststellten, als wir ungewollt an der Endhaltestelle landeten, war es tatsächlich nur eine. So machten wir einen Spaziergang zum Hotel... Hügel und unzählige Bordsteine ließen das Kofferziehen besonders aufregend erscheinen.
Tag 1: Überlebenstraining
Statt uns anschließend ins schottische Leben zu stürzen, mussten wir die nächste Krise bewältigen. Die Challenge lautete: Überlebe einen ganzen Urlaubstag mit sehr wenig Geld. Schuld daran war unsere (semi)weise Voraussicht, in Deutschland mit der Bank eine tägliche Obergrenze für das Geldabheben im Ausland festzulegen. An und für sich eine super Sache, um bei einem eventuellen Diebstahl den Schaden nicht ausufern zu lassen – allerdings sehr hinderlich, wenn die Summe durch die im Voraus zu bezahlenden Hotelkosten bereits direkt nach der Ankunft aufgebraucht ist.
Die geborenen Sparfüchse
Wo geht man essen, wenn man sein begrenztes Budget gut verwalten muss? Genau, in einer Sushi-Bar.
Fröhlich und ganz nach dem Motto „was kümmert mich der Abend“ begrüßten wir also Glasgow in einer hippen Bar mit fahrenden Tellern. Immerhin rissen wir uns bei den Getränken zusammen und bestellten Wasser.
Auch der folgende Spaziergang konnte als Sparmaßnahme gelten, denn wir gingen ausschließlich zu Fuß. Es dauerte nur ein paar Meter, um zu verstehen, was mit den zwei Seiten Glasgows gemeint war: Alle fünf bis zehn Häuser änderte sich das Ambiente von „chic, hip oder gemütlich“ in „versifft, kaputt, gruselig“ und umgekehrt.
Im Gegensatz zur Umgebung änderten sich die Menschen nicht. Egal, in welcher Ecke, sie wirkten stets gut gelaunt, unternehmungslustig und vor allem jung. Mit Mitte dreißig fühlten wir uns ein bisschen wie die Omas von Glasgow.
Der Besuch des Glasgower Studentenwohnheims – es lag zufällig auf dem Weg Richtung High Kirk – untermauerte unser Gefühl, zu den Ältesten der Stadt zu gehören. Es zeichnete sich durch niedliche Vorgärten, eine Amazon-Packstation im Hof sowie einen Picknickplatz auf einem Hügel aus, über dem malerisch eine Regenbogenfahne im Wind flatterte.
Auch die Deutschen haben es nach Glasgow geschafft. Oder war es Doctor Who? |
Aufregendes Abendprogramm
Urlaub ohne Kind – Party, Zweisamkeit und ausgiebiges Speisen? Nö. Zumindest nicht am ersten Abend. Stattdessen deckten wir uns mit Fast Food ein (das Budget war schließlich bis Mitternacht begrenzt), schmissen uns damit aufs Hotelbett und verfolgten im lokalen Fernsehen, was die Kardashians so anstellten; bis wir um 20:38 Uhr völlig erschöpft einschliefen.
Tag 2: Von Hügel zu Hügel
Am folgenden Tag fuhren wir mit der Erkundung der Stadt fort und besuchten unter anderem eine viktorianische Nekropole sowie die Glasgower Universität. Beides auf Hügeln gelegen, die auf nahezu unsichtbaren Trampelpfaden ohne Beleuchtung zu erklimmen sind.
Während die Totenstadt wunderbar veranschaulichte, dass kein Geld der Welt vor dem Vergessenwerden bewahrt – ohne Erinnerungen, die in Erzählungen weiterleben, bleiben auch die größten Grabmäler bedeutungslos –, schien die Architektur des Universitätsgebäudes magische Geschichten real werden zu lassen.
Die zahlreichen Tea Rooms waren auf unseren Streifzügen durch Glasgow eine gute Möglichkeit, um sich aufzuwärmen und auszuruhen.
Am dritten Tag beschlossen wir, der Konkurrenzstadt Edinburgh einen Besuch abzustatten.
Tag 3: Edinburgh
Während der Prinz auf dem Schiff das Bällebad und die Kinderdisco unsicher machte, setzten wir uns in einen Zug und erreichten Edinburgh in weniger als einer Stunde. Sobald wir den Bahnhof verlassen hatten, wurden wir von Sehenswürdigkeiten erschlagen – und von Touristen. Abgesehen von Verkäufern schienen in Edinburgh keine Einheimischen anwesend zu sein.
Wie von Geisterhand fügten wir uns in den Strom der Besucher und Guides ein und besuchten die Burg, anschließend römische Ruinen am anderen Ende der Stadt. Wie in Glasgow lagen beide Punkte auf einem Hügel – die Aussicht könnte jedoch unterschiedlicher nicht sein. Während man in Edinburgh auf das Meer, Grünflächen und die Highlands blickte, vernebelten in Glasgow qualmende Fabrikschlote die Sicht.
Unser Fazit: Hübsche Stadt, aber Glasgow war für uns definitiv die richtige Wahl. Zufrieden fuhren wir am Abend zurück in „unser Ghetto“ und freuten uns auf schottische Gesellschaft.
Was wäre Schottland ohne seine Lochs! Da Loch Ness zu weit entfernt war, entschieden wir uns für einen Ausflug zum nahe gelegenen Loch Lomond. Alles gestaltete sich so, wie man es erwarten würde: Nieselregen, Wind und Kälte, kein Mensch zu sehen. Leider auch keine weiteren Fahrgäste für eine Rundfahrt auf dem vermeintlich schönsten See Schottlands, so dass wir eine Stunde warten und auf Neuzugang hoffen mussten.
Es klappte, beim zweiten Versuch hatten wir mehr Glück. Während wir mit Schirm und Schal über den Loch schipperten und die Highlands mit viel Fantasie erahnten, erreichten uns Fotos vom Mittelmeer. Der Prinz hatte eindeutig eine klarere Sicht und hielt gerade nach Delfinen Ausschau.
Das große Wiedersehen
Die geballte Ladung an „Überraschungen“ auf der Hinreise hatte sich im Hinblick auf die Rückreise gelohnt – hier blieben wir verschont. Zwei Tage nach unserer Ankunft in Berlin traf der Prinz ein, den wir vom Flughafen abholten.
Würde er uns gnadenlos ignorieren oder stürmisch in die Arme fallen? Da beides mit gleicher Wahrscheinlichkeit denkbar war, warteten wir entsprechend angespannt. Als sich dann jedoch unsere Blicke trafen, der Prinz zu lächeln begann und auf uns zu rannte, wurde unsere Wunschvorstellung wahr.
Stolz präsentierte er sein Kreuzfahrtarmband – das wir die nächsten drei Wochen nicht entfernen durften –, ahmte die Ansagen des Kapitäns nach und erzählte von seinen Abenteuern.
Das frühe Aufstehen um drei Uhr nachts mit vorherigem Besuch beim Schiffsarzt – er hatte sich nach einem Sturz auf den Hinterkopf übergeben – und der Flug waren dem Prinzen nicht anstrengend genug, denn er verweigerte sowohl die bequeme Heimfahrt im großelterlichen Auto als auch mit dem Taxi. Er wollte lieber im Regen warten und sich in den überfüllten Linienbus quetschen...
Auch nach der ersten Reise ohne Eltern also alles wie immer :-)
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