Kita-Schließzeit: Wenn der Schlendrian einkehrt


Regeln, Struktur, Gewohnheiten – es gibt kein besseres Gegenmittel als die Kita-Schließzeit. Wie es bei uns im Sommer 2018 ausging, beschreibt folgender Blogpost.

Tschüss Struktur, hallo Chaos!
Kaum sind die Erzieher*innen außer Sicht- und Hörweite, schon geht es los mit Ausnahmen, Planlosigkeit und Chaos. Es braucht weniger als eine Woche, um all die familiären Konventionen und edlen Vorsätze zu vergessen – zumindest vorübergehend. Das Gute daran: Was auf den ersten Blick wie ein Horrorszenario wirkt, macht in Wirklichkeit einen riesen Spaß!


Aus alt mach neu 

Für sein Spielzeug interessiert sich der Prinz in der Regel kaum. Stattdessen stehen rumrennen, toben und Rollenspiele auf seiner selbstentworfenen Aktivitätenliste. Die kitafreie Zeit – also mehr Zeit im eigenen Zuhause – bot Gelegenheit, um sich all die verschmähten Schätze noch einmal genauer anzusehen.

Um einen besseren Überblick zu haben, mussten natürlich alle Spielzeuge gleichzeitig ausgeräumt werden. In der Konsequenz hatte des Prinzen Mama am Abend Schwierigkeiten, die Wohnung zu betreten, da der Rascheltunnel, das Laufrad und das Bobbycar den Eingang versperrten. Als sie diese Hürden überwunden hatte – und dabei mehrfach auf Lego getreten war – erwartete sie im Kinderzimmer ein ganzes Arsenal an Spielzeugautos und im Wohnzimmer lauerten Berge von Kuscheltieren. Nicht zu vergessen waren die Malutensilien in der Küche, Wassertiere im Bad und verstreute Puzzleteile im Schlafzimmer. Der Prinz selbst begrüßte sie mit Löwenmaske, einer plüschigen Klapperschlange um den Hals und High Heels.

Die größte Beachtung fanden jedoch die Babyspielzeuge. Voller Neugierde entdeckte der Prinz seine alten Rasseln, Schnuffeltücher und Beißringe neu. Passend dazu tat er so, als ob er noch keine Zähne hätte und artikulierte sich auf dem Boden krabbelnd in Babysprache.
  
Spielzeug in Hülle und Fülle – über Klamotten kann dies in der Kita-Schließzeit nicht behauptet werden.


Die Befreiung von Überflüssigem

Wozu anziehen, wenn man sich abends doch wieder ausziehen muss? Diese Frage stellten wir uns bereits an Tag Eins der kitafreien Zeit und kamen zu dem Schluss, dass Schlüpfer Bekleidung genug sind. Weg mit all den überflüssigen Klamotten!
Zuweilen wurde dieser auf Minimalismus setzende Modetrend mit Halsketten und Armbändern aufgepeppt. Wenn wir uns richtig aufbrezeln wollten, griffen wir zur Schminke und malten uns gefährliche Tigerstreifen ins Gesicht oder klebten uns Preisschilder auf den Arm.  
Schnell merkte ich, dass der Schlüpferkult zahlreiche Vorteile mit sich brachte: keine Flecken, weniger Wäsche, vereinfachte Toilettengänge und natürlich morgens und abends mehr Zeit.


Verfall der Tischmanieren

Wir zählen nicht zu den Eltern, die sich mit dem guten Benehmen ihrer Kinder während der Mahlzeiten brüsten können. Dennoch gibt es auch bei uns einige Regeln, die eingehalten werden. Eigentlich. Zum Beispiel die, dass nur in der Küche gegessen wird – sitzend am Tisch.

Musik öffnet viele Türen, sagt man. Stimmt, sage ich, auch die für den Sittenverfall.
Die Abkehr von der Esskultur begann langsam und gut getarnt beim Frühstück. „Ich will das Pferd hören“, bat der Prinz und meinte damit das aktuelle Album der Band „Austra“, auf dessen Cover ein Pferd zu sehen ist. Beseelt von den New-Wave-Klängen begann er, auf dem Stuhl zu wippen und den Kopf zu schwingen. Statt ihn zu stoppen, stimmte ich ein und naja, was soll ich sagen... Es endete damit, dass wir beide wild durch die Küche tanzten und dabei ab und zu einen Happen Brot abbissen.

Jetzt, wo der Anfang gemacht war, ging es mit dem zivilisierten Verhalten immer schneller bergab: Aus spontanen Tanz- und Snackeinlagen in der Küche wurden Mahlzeiten mit Spielpausen im Wohnzimmer. Letztendlich landeten wir sogar auf dem Sofa – das wir daraufhin aus- und nie wieder einklappten.  


Tschüss Lerche, hallo Eule

Am deutlichsten zu merken war die kitafreie Zeit an den Schlafenszeiten. Jeden Tag fielen die Augen ein bisschen später zu, bis sich eine Zubettgehzeit zwischen 23 Uhr und 23:30 Uhr einpendelte. Dank Weckerlosigkeit und Molton am Fenster schlief der Prinz bis in den Vormittag hinein – und ich ebenfalls.

Den Höhepunkt unserer zeitlichen Gesetzlosigkeit erreichten wir an dem Abend, an dem der Blutmond über Berlin thronte. Der Prinz war von der Bezeichnung „Blutmond“ sichtlich angetan und stellte diverse Theorien dazu auf. Etwa: „Vielleicht hat ein Drache ganz viel Feuer gespeit (sic!) und dann ist der Mond rot geworden“ oder „Der Blutmond ist bestimmt sehr heiß. Aber man könnte ja Handschuhe anziehen und ihn dann anfassen. Oder?“.

Neugierig hingen wir am Fenster, aber die vielen Häuser versperrten die Sicht. Was machten wir also? „Schaaade“ sagen und ins Bett gehen? Natürlich nicht – wir zogen uns Schuhe an und verließen das Haus mit dem Dreijährigen um kurz nach 22 Uhr.

Unser Plan, an der nächsten Ecke eine bessere Sicht auf den Blutmond zu haben, ging nicht auf. Da wir viel zu neugierig waren, um nun einfach nach Hause zurückzukehren, entschlossen wir uns für einen Spaziergang zur S-Bahn Brücke.
Schon von weitem war zu erkennen, dass halb Moabit die gleiche Idee hatte. Mit dem Buggy schlängelten wir uns durch eine Menschenmenge, die sich mit Sekt und Häppchen feierte. Der Prinz war vom Setting begeistert und gesellte sich dazu, als ob er nie etwas anderes getan hätte.

Ein Blutmond - heller und größer als in Moabit
Etwas schwach, aber dennoch deutlich erkennbar zeigte sich uns schließlich der Blutmond. „Mama, Mami, kommt, wir springen mal hoch und landen auf dem Blutmond!“ Klappte nicht so recht. „Wir könnten ja Team Umizoomi rufen, die schaffen das vielleicht“, meinte der Prinz optimistisch. Gute Idee, aber unsere Handys lagen zu Hause...

Kurz darauf erschien am Himmel „jemand“, der es tatsächlich zum Mond schaffen könnte: die Internationale Raumstation ISS. Während sie über uns hinwegflog und wir den Astronauten zuwinkten, rief der Prinz ihnen zu: „Hey, landet mal, ich will einsteigen!“ Als daraus nichts wurde, ließ er den Kopf nicht hängen: „Wenn ich groß bin, werde ich selbst Astronaut. Aber erst Pilot. Und Polizist und Feuerwehrmann.“ Er hat das derzeit verbreitete Phänomen Jobhopping bereits verinnerlicht.


Zurück in die Normalität

Auch wenn der Schlendrian ein gern gesehener Gast war, müssen wir uns nach dreieinhalb Wochen verabschieden. In drei Tagen ist es soweit: Die Kita fängt wieder an.
Ich habe keine Ahnung, wie lange es dauern wird, um die Nachwehen unseres planlosen Lebens zu verarbeiten – aber es hat sich auf jeden Fall gelohnt.

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