Kinder 3.0 – die Technologisierung der Welt

„Jede hinreichend fortgeschrittene Technologie ist von Magie nicht mehr zu unterscheiden.“ Diese Aussage des Physikers und Science-Fiction-Schriftstellers Arthur C. Clarke trifft auf viele Menschen zu, die den Großteil ihres Lebens vor der digitalen Revolution verbrachten. Den Kindern von heute erscheinen technologische Neuheiten hingegen als „natürlich“ und alltäglich, sie haben ihren Zauber verloren. Wie die Welt aus ihrer Sicht funktioniert, beschreibt dieser Blogpost.


Hilfe, der Computer ist kaputt!

Als die Tochter meiner Cousine vergeblich versuchte, den Spielcomputer meiner Kindheit zu bedienen, fühlte ich mich plötzlich uralt. Nicht, weil sie die neue Generation verkörperte, sondern weil sie mit den Tasten auf dem Gerät nichts anfangen konnte. „Das Ding ist kaputt, es reagiert gar nicht!“, fluchte sie, während sie immer energischer auf das Display tippte. „Wähle ein Spiel“, wiederholte der Computer mit abgehackter Stimme und zeigte vier Strichzeichnungen. Als ich das Geheimnis lüftete und sie darüber aufklärte, dass es in meiner Kindheit noch keinen Touchscreen gab, schaute sie mich ratlos an. „Und wie soll ich dann auswählen?“ Die Tastatur hielt sie scheinbar für ein Dekoelement.

Auch der Prinz von Moabit zählt zu den „Kindern 3.0“, für die die Digitalisierung und Technologisierung der Welt selbstverständlich ist.


Mach die Sonne aus!

Zum ersten Mal wurde uns diese Denkweise beim morgendlichen Anziehen bewusst. „Mach die Sonne aus“, jammerte der Prinz verschlafen auf dem Wickeltisch. „Die ist mir zu hell. Ich will, dass sie aus ist!“ Auf meine Frage hin, wie ich das machen sollte, kam die lapidare Antwort: „Na, wie bei der Lampe, mit einem Lichtschalter.“
Wütend über die menschliche Ohnmacht brach er in Tränen aus, als ich seinem Befehl nicht Folge leisten konnte. Meine Aussage, dass es unmöglich sei, die Sonne auszuschalten, zweifelt er noch heute an  er hegt den Verdacht, dass die Erwachsenen den Sonnen-Lichtschalter lediglich verheimlichen.
Wie in dem Artikel Der Prinz entdeckt das All beschrieben wurde, hat der Prinz nicht nur die Theorie, dass sich eine technologisierte Bedienung auf Himmelskörper wie die Sonne übertragen lässt. Auch der Schneefall, so seine Vermutung, wird im Weltall per Knopfdruck ausgelöst.


Hat es früher immer geregnet?

Alte Filmaufnahmen von Zeppelinen zeigten, wie sehr heutige Kinder an hochauflösende Bilder gewohnt sind. Die für die damalige Technik typischen Krisseln und Wackler irritierten den Prinzen sehr. Nach ein paar Sekunden meinte er mitfühlend: „Oh nein, da regnet es ja!“ Scheinbar schien es früher immer geregnet zu haben, denn der „Regen“ hörte einfach nicht auf; wodurch der Film schnell uninteressant wurde.


Eine Welt ohne Handy?

Undenkbar!
Wie soll man ohne Handy einen Termin mit der Nuckelfee vereinbaren? Oder Einsätze mit den Pyjamahelden planen? Selbst die Geheimfreunde des Prinzen besitzen ein Handy, um Kontakt zu halten, wenn sie außer Haus sind. Manchmal telefonieren sie sogar miteinander, wenn sie sich an verschiedenen Enden des Spielplatzes aufhalten. Ist doch besser als laut herumzuschreien, oder?!
Bei einer solch hohen Relevanz des Handys ist die folgende Schlussfolgerung durchaus nachvollziehbar: Der Prinz packt ein ihm unbekanntes Spiel aus und nimmt Karten heraus, auf denen Kreise gezeichnet sind. Nach kurzer Betrachtung drückt er auf die „Knöpfe“, hält sich die Karte ans Ohr und telefoniert. Wozu sollten diese Dinger auch sonst gut sein?


Und wo ist das Navi?

Schatzkarten sind bekannt, klassische Landkarten hingegen weniger. Als der Prinz in einer echten Lok Fahrer spielen durfte, legte er sich mächtig ins Zeug, um alles in Gang zu setzen. Er heizte den Kessel, stellte sämtliche Regler ein und justierte die Handräder. Kurz vor dem Start hielt er inne, blickte sich suchend um und fragte: „Und wo ist das Navi?“

Auch auf einem Tretboot darf ein Navi nicht fehlen. Im letzten Sommerurlaub wurde ich von drei Kleinkindern, die ein sich an Land befindendes Fahrzeug zu einem Feuerwehrboot umfunktioniert hatten, in die Zentrale beordert. Super Job, dachte ich, einfach herumsitzen und Dinge wie „Ihr habt einen Einsatz“ oder „Wasser marsch“ rufen. Tja, falsch gedacht. Schon mein „Es geht los!“ stieß auf Kritik. Einstimmig riefen die Knirpse: „Stopp! Du musst zuerst das Navi einschalten!“ Wie konnte ich das nur vergessen...
Es liegt auf der Hand, dass wir  obwohl wir nebeneinander saßen  ausschließlich über Funk kommunizierten. Für das Öffnen der Türen war eine ausgeklügelte Tastenkombination erforderlich und bevor Wasser floss, musste der Löschmodus aktiviert werden.


Restaurant der Gegenwart

Auch Pizza bestellen ist nicht so einfach, wie vielleicht vermutet wird. Der Prinz wollte im heimischen Wohnzimmer Restaurant spielen, er war Kellner und Chefkoch zugleich. Nachdem er meine Bestellung aufgenommen hatte, begann ich mich zu wundern: „Wo willst Du denn hin? Zur Kinderküche geht es doch in die andere Richtung.“ Die Antwort: „Ich gehe zum Computer. Ich muss die Bestellung doch erst eintippen!“


Erich von Dänikens ganzer Stolz

Was gibt es für einen besseren Beweis als die unvorbelastete Einschätzung eines Dreijährigen?
„Hey Mami, guck mal, da ist ein Spaceshuttle“, rief der Prinz begeistert in einem Taxi aus und zeigte auf ein Foto, das am Spiegel baumelte. Ich beugte mich nach vorn, um besser sehen zu können, erblickte aber nur eine große Moschee mit mehreren Minaretten. Mit einem Schmunzeln fiel mir der Autor Erich von Däniken ein, der in (fast) Allem Spuren von Außerirdischen erkennt. Einer seiner zentralen Thesen lautet, dass die Menschen vor langer Zeit von Aliens besucht worden sind, was einen großen Eindruck hinterlassen hatte. Zur Erinnerung wurden Gotteshäuser errichtet, die in der Bauweise Ufos nachempfunden sind. Moschee = Spaceshuttle, der Prinz hat einen klaren Blick bewiesen!

Auch religiöse Symbole können technologisch interpretiert werden. Als sich der Prinz eine Menora schnappte, sich diese an den Mund hielt und „Ich habe ein MeeeegRafon“ brüllte, wäre Erich sicher stolz auf diese Siebenarmiger Leuchter = Megafon Deutung!


Der Zauber der Vergangenheit
Quelle: Pixabay

Als Kind habe ich zahlreiche Stunden vor der mechanischen Schreibmaschine meines Großvaters gesessen und beobachtet, wie sich die Typenhebel auf das Blatt zubewegten und darauf Buchstaben erscheinen ließen. In Momenten wie diesen könnte der eingangs zitierte Spruch auf folgende Weise abgeändert werden: „Jede hinreichend alte Technologie ist von Magie nicht mehr zu unterscheiden.“

Auch der Prinz findet zwischen all dem „modernen Schnickschnack“ hin und wieder Zeit, sich für Relikte aus der Vergangenheit zu begeistern. Zum Beispiel zählte eine alte Singer-Nähmaschine mit Fußantrieb, deren Funktionsweise er ausgiebig studierte, zu seinen Highlights im Technikmuseum.
Richtig nostalgisch wird es, wenn er abends mit einer Maltafel in der Hand ins Wohnzimmer spaziert  eigentlich sollte er schon längst schlafen  und strahlt: „Guck mal, Mami, ich habe einen Brief für Dich geschrieben.“ Im Gegensatz zu den WhatsApp-Nutzern weiß der Prinz sogar von der Existenz der Anrede und liest vor: „Liebe Mami...“
Mehr retro geht nicht!


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