Neun Dinge, die man erst versteht, wenn man Kinder hat


Als kinderlose Beobachterin fand ich das elterliche Verhalten hin und wieder ziemlich seltsam oder hielt es zumindest für sehr überzogen. Die Geburt des Prinzen öffnete jedoch die Pforte zu einer Parallelwelt – ich begann, in den wunderlichen Aktionen zunehmend Sinn zu sehen. Im Folgenden neun persönliche Aha-Erlebnisse, die ich durch den Prinzen erleben durfte.


(1) Ein leerer Kinderwagen ist kein Zeichen von Irrsinn

Huch, da ist ja gar kein Kind drin!
Spaziergänger mit leeren Kinderwagen machten mir immer etwas Angst. Meine Theorien schwankten zwischen „Die Armen, der starke Kinderwunsch blieb wohl unerfüllt und nun bilden sie sich aus Verzweiflung ein Baby ein“ und „Diese Rabeneltern, die haben vor lauter Candy Crush das Kind vergessen“.
Mittlerweile zähle ich selbst zu diesen Irren, die einen leeren Kinderwagen vor sich her schieben. Manchmal setze ich sogar noch eins drauf und fahre darin meine Handtasche spazieren. Der Grund kann einfacher nicht sein: In der Kita gibt es keine Abstellmöglichkeiten oder das Kind wird später von den Großeltern mit dem Auto abgeholt.


(2) Das große Mysterium der Fensterbauer

Bis vor einem Jahre dachte ich, dass Fensterbauer die Allgemeinheit mit ihren zweiteiligen Fenstern trollen möchten. Wozu braucht man bitte eine Luke, die so hoch ist, dass niemand herankommt? Welcher Mensch schleppt täglich eine Leiter zum Fenster, statt einfach das große untere zu öffnen?
Genau – Eltern von kletterbegeisterten Kindern, die sich mehr frische Luft wünschen als Kippfenster bieten können. Ich bin dankbar für diese grandiose Weitsicht der Fensterbauer, die ich selbst mit Fantasie nicht aufbringen konnte.


(3) Fahrstühle sind nicht für Faule gedacht

Da ich zu den lauffaulen Artgenossen zähle, die jede noch so kurze Rolltreppe in Anspruch nehmen und durch ausgeklügelte Wegestrecken versuchen, jeden extra Meter zu vermeiden, passten Fahrstühle sehr gut in mein Bequemlichkeitskonzept. Immerhin war ich in meiner kinderlosen Zeit so gütig, alte Leute, Kinderwagen und Rollstühle vorzulassen, wenn sie aussahen, als wären sie in Eile – auf die Idee, den Fahrstuhl diesen Personengruppen gänzlich zu überlassen, bin ich jedoch nicht gekommen.
Diese Einsicht hatte ich erst, als ich mit dem Kinderwagen eine Viertelstunde lang auf einen Lift wartete, der von jungen, gesunden Menschen ohne Gepäck blockiert wurde. Es war nicht nur so, dass mich niemand vorließ – nein, es drängelten sich zudem noch zahlreiche Lauffaule vor. Seit dieser Erfahrung kann ich das Seufzen und Augenrollen der Eltern gut nachvollziehen, wenn Kopien meines alten Ichs am Fahrstuhl anstehen.


(4) Kinder sind krasse Marketingopfer

Bis zum Ende der Flaschennahrung war ich überzeugt: Kindern ist es völlig egal, ob eine gewöhnliche Kirsche oder eine Zeichentrickfigur den Joghurtdeckel ziert. Ich hielt die bunten Bilder auf den Verpackungen für eine Masche, um Elternherzen höher schlagen zu lassen, die bei mir aufgrund von Geschmacksinkompatibilität nicht funktionierte.
Mit etwa zwei Jahren begann der Prinz jedoch, beim Einkauf auf ebendiese bunten Bilder zu pochen. Mittlerweile habe ich es eingesehen: Kinder sind hochgradige Marketingopfer. Ein Kirschjoghurt mit einer Kirsche auf dem Deckel schmeckt nicht wie ein Kirschjoghurt mit Elsa auf dem Deckel.


(5) Bei „Ach, nun lass ihn doch, er freut sich doch so!“ auszurasten, ist nicht überzogen

Regeln sind nicht immer verkehrt und Absprachen sollten eingehalten werden – keine Frage! Aber müssen Eltern wirklich immer so gnadenlos streng sein und jegliche Ausnahme verhindern?
Oft habe ich mit fremden Kindern still mitgelitten und mich im Geiste mit ihnen gegen die Willkür der herrschsüchtigen Erwachsenen verbündet. Zu diesem Zeitpunkt kannte ich jedoch die andere Seite noch nicht. Ich dachte nicht daran, dass der heißbegehrte Schokoriegel versagt werden könnte, weil es bereits zum Frühstück eine Ausnahme gab und statt Vollkorn Süßigkeiten erlaubt waren. Mir kam nicht in den Sinn, dass das Kind, das unbedingt „bitte, bitte, nur noch ein letztes Mal“ schaukeln wollte, vielleicht schon fünf Verlängerungen hinter sich hatte. 
Nun bin ich schlauer und weiß, dass Sätze wie „Ach, nun lass ihn doch, er freut sich doch so!“ und „Aber er will doch sooo gern, mach doch mal eine Ausnahme“ alles andere als angebracht und noch weniger hilfreich sind, um eine Konfliktsituation zu entschärfen.


(6) Kinder sind k(l)eine Angeber

Aussagen wie „Guck mal, was ich habe“ oder „Guck mal, meins ist schneller/größer/besser“ sind unter Kindern sehr verbreitet und finden bei Erwachsenen selten Anklang. Was ist los mit dem Nachwuchs, ist Angeberei etwa angeboren?

Ja, lautet meine Antwort als Mutter, aber mit einem völlig anderen Verständnis als Erwachsene es haben. Durch das eigene Kind habe ich verstanden: Es geht weder um Prahlerei noch darum, Neid und Missgunst zu säen. Nüchtern betrachtet möchten die vermeintlichen Angeber lediglich ihre Freude teilen oder eine neutrale Feststellung treffen.

Seit dieser Erkenntnis kann ich auch erwachsene Großmäuler viel leichter ertragen. Ich denke einfach an ihr inneres Kind, das vor Freude platzt.


(7) Schlaubergertum ist kein Beweis für überambitionierte Eltern

Ein Dreijähriger, der ein Lexikon mit in die Kita nimmt und sich freut, wenn er auf einer Reklame den Buchstaben „Z“ findet? Ein Kleinkind, das Erwachsene darum bittet, den Zooplan auf Englisch zu übersetzen, um das Ganze dann auswendig zu lernen? Das kann ja nur an den überambitionierten Eltern liegen, hätte ich vermutlich vor der Geburt des Prinzen gesagt. Jetzt, wo das Beispielkind mein eigener Sohn ist, denke ich anders.

Ich wäre vorher nie darauf gekommen, dass Kinder Buchstaben lernen wollen, weil sie Autoschilder entziffern möchten. Auch reichte meine Vorstellungskraft nicht für die Idee aus, dass Kinder sich für Zahlen interessieren, weil sie die ISBN-Nummern auf ihren Büchern entdeckt haben und diese spannender finden als die Geschichte. Der Wissensdurst kommt von ganz allein, Schlauberger werden nicht herangezüchtet.


(8) Eine Bibliothek gegen die Angst

Genauso wenig wie ich den Toilettenkult mit Smartphone anderer Erwachsener verstehe, konnte ich die Bücherstapel neben dem Töpfchen von Kleinkindern nachvollziehen. Für mich sind Besuche im Badezimmer eine einfache Sache: Deckel hoch, raufsetzen, loslassen, Deckel runter, spülen, Hände waschen, fertig. Wozu also ein ganzes Arsenal an Unterhaltungsmedien?

„Diesen Quatsch“ wollte ich beim Prinzen gar nicht erst anfangen, und es funktionierte beim kleinen Geschäft wunderbar. Er entleerte einfach seine Blase und das war`s, ganz wie in meiner Idealvorstellung.
Als das große Geschäft anstand, ging mir jedoch langsam ein Licht auf, denn plötzlich war Angst im Raum. Angst vor dem Loslassen, vor dem Verlust. Große Angst. Da weder rationale Erklärungen noch Händchenhalten halfen, wurde es mit Ablenkung versucht – und schon hatten wir, wie all die anderen Eltern, eine kleine Bibliothek im Badezimmer.

Durch diesen Aha-Effekt bin ich viel nachsichtiger mit den erwachsenen Smartphone-Toilettengängern geworden. Sie haben scheinbar ihre Verlustängste nie ganz überwunden.    

Und nun die wichtigste und zugleich schönste Erkenntnis durch das Elternwerden:


(9) Es gibt unglaublich viele nette Menschen!

Man muss nicht erst Eltern werden, um zu erkennen, dass es (viel zu) viele Kinderhasser und gleichgültige Leute gibt, die sich wortlos wegdrehen, wenn sie um Hilfe gebeten werden. Je länger man als Familie unterwegs ist, desto häufiger begegnet man jedoch auch liebevollen, witzigen und herzlichen Mitmenschen.

Da trifft man zum Beispiel auf...

...den netten Straßenreiniger, der mit seiner Kehrmaschine eine Extrarunde dreht, damit der Prinz das Fahrzeug genauer betrachten kann.

...den hilfsbereiten Musiker im Dönerladen, der seine Gitarre hervorholt und ein Ständchen spielt, weil der Prinz gerade einen Wutanfall der Premiumklasse hinlegt.

...die Mut machende Mutter im Supermarkt, die mitfühlend „das geht auch wieder vorbei“ zuflüstert, während das Kind den Laden zusammenbrüllt, da sein Lieblingseinkaufswagen gerade nicht zur Verfügung steht.

Da gibt es...

...den tollen Polizisten, der sich ans Fenster stellt, winkt und „hier sind wir“ ruft, weil er gehört hat, wie sich der Prinz beim Vorbeilaufen wunderte: „Echt, in dem Haus sind Polizisten? Man sieht sie gar nicht. Sind die da wirklich drin?“  

...die entspannten Fahrradfahrer, die sich auf das Spiel „Fahrradsperre“ einlassen und sich von einem dreijährigen Möchtegern-Polizisten mit Plastikkelle kontrollieren lassen.

...die Spaß verstehenden Rollstuhl- und Rollatorbesitzer, die einem spontanen Wettrennen gegen einen Knirps auf dem Laufrad zustimmen.

Nicht zu vergessen sind all die Passanten, die uns durch ein Lächeln das Gefühl geben, erwünscht zu sein – auch außerhalb von Spielplätzen und Krabbelgruppen.
Vielen Dank für eure tolle Unterstützung; ohne euch wäre das Elternsein echt hart!  

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Kommentare

  1. Ja die Fahrstühle! Toller Beitrag, ich musste viel schmunzeln. Und das mit der Bibliothek werde ich mal ausprobieren!

    Viele Grüße aus Paris
    Feli

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    1. Hallo Feli,

      vielen Dank für Deine netten Worte.
      Ist das "Fahrstuhlproblem" in Paris auch so aktuell? ;-)

      Ich wünsche Dir viel Erfolg beim Bibliotheksversuch!

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    2. Huhu,

      was für ein toller Beitrag.
      Als Mutter muss man doch mal lachen zwischendurch, denn das meiste kommt mir irgendwie bekannt vor :-)
      Marketingopfer und Angeber da habe ich auch eine von Zuhause <3

      Liebe Grüße Sabrina

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    3. Liebe Sabrina,

      vielen Dank für das Kompliment.
      Ich drücke uns beiden die Daumen, dass unsere kleinen Marketingopfer und Angeber rechtzeitig die Kurve kriegen - ohne in den Abgrund der Konsum- und Wettbewerbsgesellschaft zu stürzen :-D

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