Eine Sinfonie des Nichtgreifbaren: Willi Wolke und der kleine Schneemann (Kooperation)


Wie vermittelt man Kindern schwer zu fassende Themen wie Unendlichkeit, Seele und Tod? Die Autorin Rachel Wolke hat sich in ihrem Buch „Willi Wolke und der kleine Schneemann“ an genau dieses Thema herangewagt. Ob es ihr gelungen ist? Der Prinz und ich durften es testen.


Leichte Worte für schwierige Themen

Es gibt Menschen, die komplexe Antworten in Sekundenschnelle kindgerecht umformulieren können. Ich gehöre nicht dazu – sämtliche Details erscheinen mir viel zu interessant und schwerwiegend, um sie zu kürzen. Zum Glück muss ich nicht alle Fragen selbst beantworten, sondern kann auf eine wertvolle Hilfe zurückgreifen: Bücher.

Rachel Wolke verfolgt in ihrem Buch „Willi Wolke und der kleine Schneemann“ einen anderen Ansatz als das Umformulieren, indem sie zwei nicht greifbare Charaktere wählt und die Themen Vergänglichkeit, Unendlichkeit, Seele und Tod zwischen den Zeilen aufgreift. Auf diese Weise sind nicht einmal leichte Worte nötig, um schwierige Fragen zu behandeln.


Zwei untypische Protagonisten und eine körperlose Liebe

Häschen, Löwen, der Mond – dieses Buch kommt ohne die klassischen Hauptfiguren aus. Es erzählt die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen einem Schneemann und einer Wolke, Willi genannt. Nachdem die beiden zufällig aufeinandergetroffen sind und einen spaßigen Winter zusammen verbracht haben, müssen sie im Frühling voneinander Abschied nehmen. Für immer. Doch irgendwie auch nicht, denn, wie die Leser lernen: „Nichts ist weg, alles verändert nur seine Form.“

Aus die Maus - äh, der Schneemann.
Aber nicht ganz, wie wir im Buch erfahren.


Das Leben als Metamorphose

Auch im Märchen bringt die Sonne den Schnee – und somit den kleinen Schneemann – zum Schmelzen. Somit können die beiden Protagonisten ihre bestehende Freundschaft nicht in der gleichen Form weiterführen, wie bisher. Angepasst an den Wandel der Jahreszeiten verändert sich der kleine Schneemann: aus seiner dreikugeligen Gestalt wird eine Pfütze, dann Wasserdampf und schließlich wird er zu neuen Schneeflocken.

Seine Metamorphose wäre ohne die Hilfe von Willi nicht möglich, denn dieser begleitet den kleinen Schneemann als persönliche Schneewolke über das ganze Jahr. Zuerst sammelt er den Wasserdampf ein, dann bewahrt er ihn im Sommer und Herbst auf und lässt ihn im Winter als Schnee auf die Erde zurückkehren.

Auch wenn sie nicht mehr miteinander sprechen und sich sehen können, sind die zwei Freunde weiterhin verbunden. Willi spürt, dass der kleine Schneemann noch immer bei ihm ist.   


Die Reaktion des Prinzen: die Buchabnahme

Bei der Bücherwahl lässt sich der Prinz gern von Titel und Covergestaltung blenden; sind diese zwei Punkte bei ihm durchgefallen, ist es nahezu unmöglich, ihm die Lektüre schmackhaft zu machen. Da er Schnee bisher nur an zwei Tagen seines vierjährigen Lebens gesehen und sich noch nicht ausgiebig mit Wolken beschäftigt hat (nur mit dem, was darüber sein könnte), setzte ich große Hoffnungen in diese beiden Schlagwörter; und wurde nicht enttäuscht.

Mami:             „Ich habe hier ein neues Buch, das ich mit Dir lesen will. Es heißt „Willi und der kleine Schneemann“. Willi ist eine Wolke.“

Der Prinz:      „Oh. Zeig mal, wie die aussehen.“

Check 1, der Titel passt!

Der Prinz:      *schaut auf das Cover und beginnt zu blättern*

Check 2, die Gestaltung – wunderbar dezente Illustrationen in unaufdringlichen Farben von Barbara Fisinger Skorjanc – ist ebenfalls genehmigt. Dem Lesen steht nichts mehr im Weg!


Die Reaktion des Prinzen: die Geschichte

Würde ihn auch der Inhalt überzeugen?
Außenstehende, die uns beim Lesen beobachtet hätten, würden vermutlich mit „nein“ antworten, denn der Prinz saß nicht gebannt auf meinem Schoß. Stattdessen turnte er während der Geschichte durch das Bett – wie immer, denn still sitzt er, wenn überhaupt, nur bei Lexika – und drapierte Kissen zu Signalbrücken oder Tiergehege. Seine Mütter wissen jedoch, dass er trotz der Action jedes einzelne Wort aufnimmt. So war es auch bei „Willi und der kleine Schneemann“.

Der Prinz bemerkte schnell, dass dies kein typisches Kinderbuch mit Drei- bis Vierwortsätzen war. Hier wurde Wert auf eine bildhafte Sprache gelegt und es konnten neue Wörter wie „verdutzt“, „aufplustern“, „losprusten“ und „Illusion“ oder Redewendungen wie „mit vollem Karacho“ gelernt werden. An diesen Stellen spitzte der Prinz förmlich die Ohren und hielt mit seinen Bauvorhaben inne.

Ebenfalls interessierte ihn der Formenwandel des kleinen Schneemanns. Sobald er seinen Zustand änderte, entriss mir der Prinz das Buch, um sich das dazugehörige Bild anzuschauen. Der Wasserdampf beeindruckte ihn am meisten. Das Fazit, nichts verschwindet, es ändert nur seine Form, kam an.     

Und das Ende? Kam viel zu früh, fand der kleine Buchkritiker. Ich sollte zum Ausklang noch die gesamte Danksagung sowie die Infos zur Produktion vorlesen.


Eine wichtige Botschaft

Abgesehen von der Erkenntnis, dass alles Lebende eine unendliche Seele hat, die hin und wieder die Form ändert, transportiert „Willi und der kleine Schneemann“ eine wichtige Botschaft: Der „Tod“ bedeutet nicht nur Verlust und Trauer, sondern kann neue Sichtweisen eröffnen. Willi wächst sogar über sich selbst hinaus und wird zu einer Schneemacher-Wolke – damit erfüllt er sich einen langgehegten Wunsch und verhilft dem kleinen Schneemann zugleich zu einer neuen Existenz.   

Leben, Tod und Auferstehung, wolkenleicht verpackt in einer Geschichte über Freundschaft und Wandel, wunderbar illustriert und mit Wortspielen gewürzt – „Willi Wolke und der kleine Schneemann“ ist eine Sinfonie des Nichtgreifbaren, die sich lohnt, gelesen zu werden. An dieser Stelle vielen Dank an den Pastis Verlag für diese Möglichkeit!


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