Arztgeschichten: von Krätze und Männergrippe


Laut Klischee schwanken Männer je nach gesundheitlicher Verfassung gern zwischen den Extremen „harter Kerl“ und „Mimose“. Wie ich erfahren durfte, scheint dieses Verhalten bereits auf kleine Jungs zuzutreffen: gruseliger Ausschlag ist cool, ein leichtes Hüsteln Grund für eine Intensivtherapie.

In den ersten anderthalb Lebensjahren war der Prinz aufgrund seiner Vorliebe für hohe Temperaturen Stammgast beim Kinderarzt. Während der zahlreichen Wochen, in denen sein Körper mit 41 Grad Fieber durchfeuerte, lernten sich Arzt und Patient gut kennen. Mittlerweile nennen sich die beiden beim Vornamen und der Prinz kennt das Wartezimmer so gut wie sein eigenes. Ein neues Bild an der Wand, ein verschwundenes Spielzeug, ein verändertes Sortiment an Broschüren – er sieht es auf den ersten Blick.
Glücklicherweise sind die Besuche mit dem Alter seltener geworden, doch kürzlich war es wieder einmal so weit.


Hast Du die Krätze?

Diese Frage stellt meine Mutter jedes Mal, sobald sich jemand auch nur für eine Sekunde kratzt. Der panische Blick verrät, dass es sich hierbei um eine ihrer Urängste handeln muss. Obwohl niemand aus unserer Familie je die Krätze hatte, blieb mir diese Krankheit im Gedächtnis und wurde präsent, als der Prinz plötzlich anfing, seine Arme blutig zu kratzen.

Da er auch nach ein paar Tagen nicht damit aufhörte – im Gegenteil, die Beine waren nun ebenfalls befallen – und es Krätzemeldungen in Berlin gab, war es an der Zeit für einen Arztcheck.


Oh nein, die sitzt in der Kotze!

Der Frühling war in vollem Gange, weshalb ich davon ausging, ein leeres Wartezimmer vorzufinden. Zu meiner Überraschung war es jedoch so voll, dass wir nicht einmal einen Sitzplatz bekamen. Es wimmelte nur so von röchelnden Kindern mit roten Köpfen und verschnodderten Nasen, die Hustenanfälle bildeten einen Chor. Wie schön, dachte ich, jetzt kommen wir gesund zum Arzt und gehen mit Virus nach Hause...

Meine Sorgen vergrößerten sich, je länger ich das Baby anschaute, das neben uns auf dem Fußboden campierte. Ihm ging es sichtbar schlecht und es brachte dies mit einem riesigen Kotzstrahl zum Ausdruck. Meine Schuhe freuten sich über die Politur der besonderen Art.
Der Prinz hatte diesen Vorfall genau beobachtet und war von der Menge, die aus einem so kleinen Wesen herausströmen kann, sichtlich beeindruckt. Kein Wunder, denn er war bei früherer Krankheit auch über sein eigenes Erbrochenes so erstaunt, dass er wochenlang für sämtliche Besucher eine Führung durch die Wohnung veranstaltete, von Kotzstelle zu Kotzstelle. Als Höhepunkt präsentierte er seinen Kotzeimer.

Nun, in der Arztpraxis, warnte er fürsorglich jeden hinzukommenden Patienten vor der besagten Stelle: „Vorsicht, da ist Kotze! Das Baby hat einfach auf den Boden gekotzt, gaaanz viel. Guck mal, genau hier“.
Nach 2,5 Stunden kam jedoch ein Kind, das nicht auf seinen Hinweis hören wollte. Völlig verzweifelt rief der Prinz aus: „Oh nein, die sitzt jetzt einfach in der Kotze!“


Die Diagnose

Nach drei Stunden wurden wir endlich aufgerufen. „In welche Nummer müssen wir?“, fragte der Prinz als alter Hase im Arztgeschäft an der Rezeption nach. Nachdem wir die dortige Wartezeit mit Waage und Maßband überbrückt hatten – ich war ein Kilometer fünfundneunzig groß – begrüßte er den Arzt mit der Frage „Du [Vorname], wie alt bist Du eigentlich?“ und machte ihn mit seinem mitgebrachten Plesiosaurus bekannt. Naja, genauer gesagt wollte der Dino den Arzt fressen.

Die Diagnose war schnell gestellt: keine Krätze, sondern leichte Neurodermitis.


Die Verkündung

Anschließend gingen wir in die Kita und kamen pünktlich zum Mittagessen. Alle Kinder saßen bereits am Tisch und der Prinz stellte sich in ihre Mitte. „Hallo Leute, ich war beim Arzt“, begrüßte er sie fröhlich. „Ich habe ihm meinen Ausschlag gezeigt. Guckt mal!“ *krempelt die Ärmel hoch* „Das heißt Neurodermitis.“

Was für ein harter Kerl!


Medizin, die wirklich hilft

...dabei geht es auch ganz anders, zum Beispiel bei leichtem Hüsteln. Hier kullern sofort die Tränchen und es wird dramatisiert. In etwa so:
*heul* Ich habe Husten. *heul* Kannst Du mir bitte Tee geben? Und Honig? *heul* Und das Wärmekissen brauche ich auch. *heul* Ich glaube, wir müssen zum Arzt, ich bin krank. *heul*

Wenn es ganz schlimm wird, hilft jedoch aus Sicht des Prinzen auch kein Arzt mehr, sondern nur ganz spezielle Medizin: „Mami? Ich weiß, wie es mir besser geht. Ich brauche Schokolade und Fernsehen.“
Wer kann da angesichts des schweren Hüstelleidens schon „nein“ sagen?

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