Mehr Schein als Sein – ein dreijähriger Blender packt aus

Frecher Iro oder Engelslocken? Coole Nerdbrille oder unauffällige Sehhilfe im Opalook? Völlig egal, es kommt auf die inneren Werte an – oder? „Nicht ganz“, würde des Prinzen Tante antworten. Denn, wie sie stets zu sagen pflegt: „Charakter ist nicht alles“.
Gilt dies auch schon für Kleinkinder? Dieser Blogpost untersucht das Verhältnis von Schein und Sein am Beispiel des Prinzen und berichtet, mit welchen Stilmitteln der Dreijährige bisher blenden konnte und was passiert, wenn beim Styling alles schiefgeht. 


Coolsein kann warten

Als sich die ersten Haare des Prinzen zu kräuseln begannen, waren wir hin und weg von den blonden Engelslöckchen. Auch das Umfeld war entzückt und fand Worte wie „süß“, „niedlich“ und „bezaubernd“. Eigentlich hatten wir ganz andere Pläne, denn bereits in der Schwangerschaft stand fest: Sobald genug Haare vorhanden sind, erhält der Prinz einen stylishen Irokesenschnitt. Doch nun...

Abgesehen davon, dass dem Prinzen die Lockenpracht ausgezeichnet stand, gab es ein weiteres (starkes) Argument, um den ersten Friseurbesuch hinauszuzögern: Seine Haare blendeten. Da er so unschuldig aussah, verziehen ihm seine Mitmenschen nervige Eigenheiten und filmreife Wutausbrüche innerhalb von Sekunden. Dass dies kein Nachteil für uns Eltern war, lag auf der Hand. Das Coolsein konnte ruhig noch eine Weile warten.

Erst als die Lockenpracht mit knapp drei Jahren an Schwung verlor, ließen wir den Gedanken an eine Schere zu. Ein talentierter Friseur sollte einen Under- oder Sidecut zaubern – den Iro schoben wir zunächst auf. 


Die erste Verwandlung: aus Engel wird Oma

Was könnte einladender klingen als eine Friseurmeisterin, die ihren Salon seit 40 Jahren im Kiez betreibt? Freudig betraten wir an einem Vormittag nach vorheriger Anmeldung den Laden und der Prinz wurde, ganz professionell, auf einem Kindersitz platziert. Und genau hier endete unsere Freude.

„Ein ganz normaler Jungenschnitt, ja?“, fragte die Salonbetreiberin und schnippelte währenddessen bereits wahllos – ohne hinzusehen! – auf dem Kopf des Prinzen herum. „Äh, nein! Wir dachten an einen Side- oder Undercut, vielleicht...“ – „Nö. Macht man nicht bei so kleinen Kindern“, unterbrach sie uns schroff. Noch mehr Löckchen fielen zu Boden. Statt „Stopp“ zu sagen, unser Kind zu schnappen und abzuhauen, waren wir so geschockt, dass wir verstummten und fassungslos die Bewegungen der Schere verfolgten.

„Fertig. Sieht doch gut aus“, präsentierte die betagte Frau ihr Werk und riss uns aus der Erstarrung. Es war schrecklich; der Prinz sah aus wie eine ältere Dame mit schütterem Haar. Die Friseur-Oma hatte unseren Sohn selbst in eine Oma verwandelt.   


Auch Fantasie hat ihre Grenzen

Nachdem wir die Höhle des Scherenmonsters verlassen hatten, fragten wir uns gegenseitig – zunächst zaghaft – nach der Meinung. „Grauenhaft“ lautete das einhellige Urteil. Dennoch waren wir optimistisch: Ein bisschen waschen und verwuscheln, dann wird das schon...

Oder doch nicht? Am Abend konnten wir uns noch immer nicht mit der neuen Frisur anfreunden, die Fantasie reichte einfach nicht aus. Wie es der Zufall wollte, sahen wir auf dem Nachhauseweg einen neu eröffneten Friseursalon. Wir nickten uns zu, stürmten hinein, nahmen dem verunstalteten Prinzen die Mütze vom Kopf und riefen: „Bitte, helft uns! Rettet diesen armen Jungen!“


Die zweite Verwandlung: aus Oma wird Bengel

Wir wurden erhört und der Prinz durchlief erneut eine Transformation: dieses Mal von einer Oma mit schütterem Haar zu einem frechen Jungen. Ein Side- oder Undercut war bei der gegebenen „Vorarbeit“ nicht mehr möglich, aber der Friseur tat sein Bestes. Es fiel ihm hörbar schwer, sein Entsetzen über das Werk seiner Kollegin nicht in eine Schimpftirade ausarten zu lassen.

Zwei Friseurbesuche an einem Tag; der Prinz schlug sich tapfer. Er lenkte sich ab, indem er den Mitarbeitern von seiner Giraffe Gisela erzählte. So wurde am Ende des Tages aus dem Engel ein Bengel – zumindest optisch.


Quelle: Pixabay
Styling - mehr Schein als Sein?
Schluss mit dem Blendertum?

Die Wirkung der (fehlenden Haare) machte sich gleich am nächsten Tag in der Kita bemerkbar: „Oh, jetzt sieht er richtig schön frech aus. So, wie er ist. Ein echter Bengel eben.“ Tja, das war’s also mit dem Heiligenschein, der dem Prinzen und somit indirekt auch uns Bonuspunkte und Milde einbrachte...

Als die Haare nachwuchsen, konnte der Bengel-Look durch einen Undercut etwas abgeschwächt werden. Für uns sieht er nun cool und süß zugleich aus, für seine Tante wie Nick Carter.


Der Optiker-Mann und die Heldin

Auch wenn Brillen mit Fensterglas „in“ sind – der Prinz braucht seit neuestem eine echte. Ein weiteres Accessoire neben den Haaren, das das äußere Erscheinungsbild beeinflusst. Bei der heutigen Auswahl sollte es kein Problem sein, ein passendes Gestell zu finden... dachten wir zumindest.

Unser Weg führte vom Augenarzt direkt zu einer Optikerkette, die den Namen eines griechischen und römischen Gottes trägt. Obwohl optimistisch eingestellt, erlitten wir, genau wie beim Friseur, zunächst eine Niederlage – statt Licht herrschte hier Dunkelheit. Die Verkäuferin war nicht nur unfreundlich, sondern hatte auch keinerlei Interesse an Beratung. Als sie uns eine bordeaux farbene Brille mit den Worten „die ist nur für Mädchen“ aus der Hand riss, hatten wir endgültig keine Lust mehr.

Unseren nächsten Versuch starteten wir bei einem Optiker, dessen Name in der Fernsehwerbung stets unterstrichen wird. Kaum durch die Tür, lief der Prinz zielstrebig auf einen Verkaufstisch zu und setzte sich auf den Platz des Optikers. „Ich bin jetzt der Optiker-Mann“, verkündete er und hantierte mit den Beispielbrillen.
Die Verkäuferin, die sich kurz darauf zu uns gesellte, spielte mit und setzte sich auf den Kundenplatz. Als ob er noch nie etwas anderes getan hätte, reagierte er auf ihr Erscheinen ganz selbstverständlich mit der Frage: „Guten Tag. Möchten Sie eine Brille kaufen?“

Diese Wahnsinnsfrau ist eine Heldin und hat alle Orden dieser Welt verdient! Sie hat sich nicht nur länger als 45 Minuten auf dieses Spektakel eingelassen – zwischendrin haben sie noch Restaurant und Zooladen gespielt – sie wirkte zudem tiefenentspannt. Die Nerven verloren am Ende wir, so dass wir die Auswahl beendeten und das erstbeste Gestell nahmen, das der Prinz haben wollte. Es hatte seine Lieblingsfarbe – der Klassiker unter den Dreijährigen – schwarz.


Die dritte Verwandlung: aus Nick Carter wird Herr Professor

Auch die Wirkung der Brille war vom ersten Tag an deutlich spürbar: Zwei Gläser auf der Nase lassen den Träger (alt)klug wirken, glücklicherweise auf eine putzige Art und Weise. Das Bengel-Image rückt in den Hintergrund, Erwachsene hören interessiert zu.

Zum Beispiel auf dem Spielplatz, wenn der Prinz in der Nestschaukel liegt und den Umstehenden mit erhobenem Zeigefinger Vorträge über den Stoffwechsel von Meerestieren hält. Oder die Augen nachdenklich zusammenkneift, sich an die Wange tippt und über die Chronologie der Welt philosophiert: „Zuerst gab es Dinosaurier, dann kamen die Ritter. Danach lebten die Knochenbrecher – die sind aber schon ausgestorben – und jetzt leben die normalen Menschen.“

Natürlich können weder eine Brille noch eine Lockenpracht gänzlich über einen „impulsiven Charakter“ hinwegtäuschen, aber sie können ein Stück weit blenden; was vollkommen ausreicht, um Fremde zu besänftigen ;-)  

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